Wissen um Welt — Umweltwissen: Deutsche Naturkunde in Australien
Deutsche Naturforscher*innen in der Nachfolge Alexander von Humboldts waren maßgeblich an der wissenschaftlichen Erschließung der Welt beteiligt. Ihre Rolle rückt in der jüngsten Zeit immer stärker in den Fokus der Forschung. Gleichzeitig entwickelt sich eine Debatte um die Herkunft und Rechtmäßigkeit der Aufbewahrung von in kolonialen Kontexten erworbenen und in europäischen Museen ausgestellten Artefakten.
Unser Projekt baut auf diesen Entwicklungen auf und verfolgt ein weitergehendes, innovatives Forschungsinteresse: Es untersucht aus wissensgeschichtlicher Perspektive die Rolle von kolonialen Sammlungen bei der naturkundlichen Herstellung, Zirkulation und des Gebrauchs von Wissen um Welt, und es begreift die gegenwärtige Restitutionsdebatte als Chance, um im Austausch mit den Gesellschaften den Globalen Südens die Rolle der Naturkunde im Sinne einer verflochtenen Geschichte nachzuzeichnen.
Dazu untersuchen wir exemplarisch die textuelle (Reisejournale, Briefe) und materielle Überlieferung (Gesteinsproben, Pflanzen, Tierpräparate) deutschsprachiger Forschungsreisender, die im 19. Jahrhundert Australien bereisten. Wir konzentrierten uns dabei auf die Bestände des Museums für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung Berlin (MfN). Das MfN besitzt heute eine der weltweit größten historischen Sammlungen von australischen Tieren und Pflanzen. Dazu zählen Spezies, die heute als gefährdet oder ausgestorben gelten.
Diese materielle und textuelle Überlieferung ist in doppelter Hinsicht von besonderer Bedeutung: Erstens dokumentiert sie die Forschungstätigkeit deutschsprachiger Naturkundler*innen, die Humboldts Theorien und Methoden auf dem bis dahin wenig erforschten fünften Kontinent erprobten. Die Geschichte dieses Transfers ist bislang nicht erschlossen. Zweitens sind die australischen Sammlungen von besonderem Interesse für die Geschichte des MfN und der Ordnung des naturkundlichen Wissens in Deutschland. Denn oftmals stellte die australische Flora und Fauna etablierte taxonomische Ordnungen in Frage (z.B. das Schnabeltier). Darüber hinaus erreichten die Proben Berlin zu einem Zeitpunkt, als sich Vorstellungen von der wissenschaftlichen, öffentlichen und pädagogischen Funktion von naturkundlichen Sammlungen im Sinne eines modernen Wissenschaftsverständnisses formierten und Institutionen wie das MfN sich erst im Aufbau befanden.